Die actio libera in causa (alic) ist eine Rechtsfigur, die Strafbarkeitslücken in speziellen Fällen der Schuldunfähigkeit schließen soll. Der Täter versetzt sich vorsätzlich oder zumindest vorwerfbar in einen Zustand der Schuldunfähigkeit. Bei Begehung der Tat
(§ 20 StGB) läge dann ohne die Zurechnung der Verantwortbarkeit über die Rechtsfigur der actio libera in causa aufgrund mangelnder Schuld keine Strafbarkeit vor.
Beispiel: T betrinkt sich vorsätzlich, um alle Hemmungen zu verlieren und O im Rausch zu töten.
Nach dem Simultanitätsprinzip dürfte eigentlich nur nach § 323a StGB (Vollrausch) bestraft werden. Das erscheint in vielen Fällen als unverhältnismäßig. Hier setzt die Idee der actio libera in causa ein: freies Handeln in der Verursachung
. Zur Begründung kommen drei Modelle in Betracht:
Die actio libera in causa wird von großen Teilen der Literatur abgelehnt (Unvereinbarkeitstheorie).
BGH zum AusnahmemodellDas Ausnahmemodell ist mit dem eindeutigen Wortlaut des § 20 StGB, nach dem die Schuldfähigkeit 'bei Begehung der Tat' vorliegen muss, nicht in Einklang zu bringen. […] Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht nur dann, wenn es um die Auslegung einzelner Straftatbestände geht, sondern in gleicher Weise bei der Auslegung von Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches. […] Ob der Gesetzgeber die Rechtsfigur der actio libera in causa als richterrechtliche Ausnahme von § 20 StGB akzeptiert hat, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 20 StGB ohne Bedeutung, solange er dies nicht im Gesetzestext zum Ausdruck bringt.
BGH 4 StR 217/96
BGH zum AusdehnungsmodellEs spricht nichts dafür, dass das Strafgesetzbuch den in § 16 Abs. 1, § 16 Abs. 2, § 17 Satz 1 und in § 20 unterschiedslos verwendeten Begriff in § 20 in einem weiteren Sinn verstanden wissen will als in jenen anderen Vorschriften. Im übrigen hätte dieses 'Ausdehnungsmodell' über die Fallgestaltungen der actio libera in causa hinaus, um die es ihr geht, eine auch unter Präventions- und Gerechtigkeitsgedanken nicht zu rechtfertigende Einschränkung des § 20 StGB zur Folge.
BGH 4 StR 217/96
Welchem Modell folgt die Rechtsprechung?
Der BGH hat das Ausnahmemodell und das Ausdehnungsmodell ausdrücklich abgelehnt und zur Tatbestandslösung keine Stellung bezogen. Die Ablehnung der Tatbestandslösung (die dann ja als einzige offenbleibt) bezieht sich nur auf die verhaltensgebundenen Delikte. In späteren Entscheidungen hat der BGH ausdrücklich weitere Einschränkungen des Anwendungsbereichs der alic abgelehnt.
→ FAQ: actio libera in causa
→ Video: actio libera in causa in 92 Sekunden
Was ist die Übersetzung von actio libera in causa?
Wozu dient der Gedanke der actio libera in causa im Strafrecht?
Welcher Gedanke steht hinter der Vorverlagerungstheorie?
Wie begründet das Ausdehnungsmodell die actio libera in causa?
Ist nach dem Ausdehnungsmodell das Berauschen bereits ein Ansetzen zum Versuch?
Wie begründet das Ausnahmemodell die actio libera in causa?
▸ Vorverlagerungstheorie · alic als Form der mittelbaren Täterschaft
▸ Ausdehnungsmodell · Tatbestand vs. Tat iSv. § 20 StGB
▸ Ausnahmemodell · Ausnahme von § 20 StGB
▸ Unvereinbarkeitstheorie · § 323a StGB ist abschließend
Strafrecht Definitionen > Schuld > Schuldfähigkeit > actio libera in causa > Unvereinbarkeitstheorie
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im Lichte verfassungsrechtlicher Schranken (2005) | Amazon #Anzeige
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