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Rechtfertigt der Klimanotstand eine Baumbesetzung?

Rechtfertigt der Klimanotstand eine Baumbesetzung?

Das Amtsgericht Flensburg sprach in einem spektakulären Urteil am 6. Dezember 2022 (440 Cs 107 Js 7252/22) einen Klimaschützer frei, der auf einem privaten Gelände einen Baum besetzt hatte, um diesen vor der Fällung zu schützen. Das Gericht sah zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) als erfüllt an. Die Tat sei aber nach § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) gerechtfertigt gewesen.

Insbesondere habe in diesem Fall eine zur Rettung des Weltklimas geeignete Handlung vorgelegen. Obwohl die angeklagte Tat darin bestand, lediglich einen einzelnen Baum zu erhalten, habe dies einen unmittelbaren Wirkungszusammenhang zur Abwendung der Gefahr geschaffen (etabliert) – nämlich der weltweiten Klimakatastrophe.

Kritik:

Das Gericht legt den Begriff der Eignung deutlich zu weit aus. Denn ein Mittel ist nur dann zur Gefahrenabwehr geeignet, wenn der damit verfolgte Zweck überhaupt erreicht oder zumindest gefördert werden kann. Das ist hier nicht der Fall. Der generelle Schutz von Bäumen dient zwar dem Klimaschutz. Aber ein einzelner Baum kann das globale Klima nicht retten. Wenn man davon ausgeht, dass ein Baum 0,0000000000003 % (3 × 10-13) des weltweiten Bestands von etwa 3 Billionen Bäumen ausmacht, ist dieser Effekt absolut nicht messbar. 3 × 10-13 ist null. Zur Veranschaulichung: Als statistischer Wert ist dies eine 3 Millionen Mal geringere Wahrscheinlichkeit als ein Sechser im Lotto.

Das Gericht verkennt, dass der unmittelbare Wirkungszusammenhang zwischen Rettungshandlung und Gefahr einen konkreten Anknüpfungspunkt haben muss. Dieser kann nicht in einer Handlung bestehen, die irrelevant in Bezug auf die Gefahr ist. Anders herum: Wenn der Schutz eines einzelnen Baumes in irgendeiner Art und Weise das Weltklima retten könnte, müsste die drohende Gefahr vielfach geringer sein, als sie auch vom BVerfG angenommen wird. Dann aber ist der vermeintliche Klimaschützer objektiv ein Klimaleugner.

Nach der Logik dieses Urteils wäre jedes untaugliche Tun prinzipiell als Anknüpfungspunkt für Notwehr oder rechtfertigenden Notstand geeignet, wenn es vom Täter (eigenmächtig) in einen symbolhaften Bezug zum jeweils zu schützenden Rechtsgut gesetzt wird. Aber null ist nichts und ex nihilo nihil fit. Entweder muss eine Handlung für die Rettung eines Rechtsguts geeignet sein, oder jede beliebige Handlung kann jedes beliebige Rechtsgut schützen. Das subjektive Rechtfertigungselement ersetzt nicht die Geeignetheit. Anderenfalls müssten grundlegende Fragen der strafrechtlichen Kausalität, des untauglichen Versuchs, der objektiven Zurechnung und des erlaubten Risikos neu überdacht werden.

Jan Knupper




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Links

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Crashkurs Rechtswidrigkeit
AG Flensburg, 06.12.2022, 440 Cs 107 Js 7252/22: § 34 StGB rechtfertigt Baumbesetzung (PDF)
Legal Tribune Online: Baum­be­setzer wegen Kli­ma­not­stands frei­ge­spro­chen
jura-online.de: Überraschendes Urteil des AG Flensburg: Klimaschutz als rechtfertigender Notstand
verfassungsblog.de: Klimaschutz als rechtfertigender Notstand
ndr.de: Flensburger Freispruch für Bahnhofswald-Besetzer schlägt Wellen
rechtslupe.de: Klimaproteste – und der rechtfertigende Notstand

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