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Das Strafverfahren
Der Strafprozess
- Staatlich geordnetes Verfahren zur Entscheidung über die Frage,
- ob eine Straftat vorliegt
- und welche Sanktion ggf. festzusetzen ist.
- Das Strafprozessrecht regelt die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.
Ziele des Strafprozesses
- Rechtsstaatliches Verfahren
- Einzelfallgerechtigkeit
- Wiederherstellung des Rechtsfriedens
Gesetzliche Grundlagen
- StPO (Strafprozessordnung)
- Wichtigste Rechtsquelle für das Strafverfahren
- GVG (Gerichtsverfassungsgesetz)
- Gerichtsaufbau
- Zuständigkeiten
- Aufbau der StA
- JGG (Jugendgerichtsgesetz)
- Besonderheiten des Verfahrens bei Jugendlichen und Heranwachsenden
- StGB (Strafgesetzbuch)
- GG (Grundgesetz)
- ZPO (Zivilprozessordnung)
- MRK (Europäische Menschenrechtskonvention)
- RiStBV (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren)
- MiStra (Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen)
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Gang des Verfahrens
Ablauf
- Erkenntnisverfahren
- Ermittlungsverfahren
- Zwischenverfahren
- Hauptverfahren
- (Vollstreckungsverfahren)
Verfahrensvoraussetzungen
- Definition
- Umstände, von denen die Zulässigkeit eines Strafverfahrens abhängt
- Nichtvorliegen ⇒ Verfahrenshindernis
- Wichtige Verfahrensvoraussetzungen
- Keine Verjährung
- (evtl.) Strafantrag
- Zuständigkeit (sachlich/örtlich)
- Keine andere Rechtshängigkeit/Strafklageverbrauch
- wird von der Staatsanwaltschaft durchgeführt
- Voraussetzung
- Anfangsverdacht (Möglichkeit des Vorliegens einer Straftat)
- Abschluss
- Hinreichender Tatverdacht
- wird vom Gericht durchgeführt
- Voraussetzung
- Eingang der Anklageschrift bei Gericht
- Abschluss
- Hinreichender Tatverdacht (Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung)
- wird vom Gericht durchgeführt
- Voraussetzung
- Wirksame Eröffnung des Hauptverfahrens
- Abschluss
- Verfahrenshindernis
- Zweifelsfreie Schuld
- liegt vor ⇒ Verurteilung (Sachurteil)
- liegt nicht vor ⇒ Freispruch (Sachurteil)
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Zuständigkeiten
Örtliche Zuständigkeit
- Ordentlicher Gerichtsstand
- Außerordentlicher Gerichtsstand
Zuständigkeit des Amtsgerichts
- Ausschließungsgründe:
- Zwingende Zuständigkeit des LG oder OLG (§ 24 I Nr. 1 GVG)
- Es ist eine höhere Strafe als 4 Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten (oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Sicherungsverwahrung), § 24 I Nr. 2 GVG
- Die StA erhebt aus den in § 24 I Nr. 3 GVG genannten Gründen Anklage beim LG
- Spruchkörper
- Strafrichter (§ 25 GVG)
- Vergehen
- mit einer Straferwartung bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe
- oder die im Wege der Privatklage verfolgt werden
- Schöffengericht (§§ 28, 29 GVG)
- Verbrechen
- Vergehen, für die nicht der Strafrichter zuständig ist
Erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts oder Oberlandesgerichts
- Landgericht (LG)
- Oberlandesgericht (OLG)
Instanzenzüge
- Erste Instanz: Amtsgericht
- Erste Instanz: Landgericht oder Oberlandesgericht
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Verfahrensgrundsätze
Rechtsstaatsprinzip
- Art. 20 GG
- Umfassendes Prinzip, auf dem alle Verfahrensgrundsätze basieren
Offizialprinzip
- Definition
- Der Staat hat das Strafverfolgungsmonopol
- Durchbrechungen
- Privatklagedelikte
- Antrags- und Ermächtigungsdelikte
Akkusationsprinzip
- Definition
- Gerichtliches Strafverfahren nur bei wirksamer Anklage
Wo kein Kläger, da kein Richter
- Auswirkungen
- Begrenzung des Prozesses auf die angeklagte prozessuale Tat (§ 264 StPO)
- Ausweitung des Prozesses auf weitere Taten: Zustimmung des Angeklagten und Nachtragsanklage erforderlich (§ 266 StPO)
- Andere rechtliche Wertung der angeklagten Tat: rechtlicher Hinweis erforderlich (§ 265 StPO)
Legalitätsprinzip
- Definition
- Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane
- bei einem Anfangsverdacht ein Ermittlungsverfahren einzuleiten
- bei hinreichendem Tatverdacht Anklage zu erheben
- Ausnahme
- Gesetzliche Absicherung
- materiellrechtlich: § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt)
- verfahrensrechtlich: § 172 StPO (Klageerzwingungsverfahren)
Untersuchungsgrundsatz (Ermittlungsgrundsatz)
- Definition
- Es ist von Amts wegen die materielle Wahrheit zu erforschen
- Unterschied zum Zivilprozess: formelle Wahrheit
- Ausnahmen
Beschleunigungsgrundsatz
- Definition
- Strafverfahren sind innerhalb einer angemessenen Zeit durchzuführen
- Auswirkungen
- Durchführung der Hauptverhandlung möglichst in einem Zug (Konzentrationsmaxime)
- Verstöße
- Strafmilderungsgrund
- In besonderen Einzelfällen Verfahrenshindernis
Öffentlichkeitsgrundsatz, § 169 GVG
- Definition
- Es muss grundsätzlich jedem möglich sein, an der Gerichtsverhandlung als Zuschauer teilzunehmen
- Verstoß
Mündlichkeitsgrundsatz, § 261 StPO
- Definition
- Nur der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragene Prozessstoff darf Grundlage des Urteils werden
- Auswirkungen
- Urkunden müssen grds. verlesen werden, § 249 StPO
- Laienrichter dürfen keinen Einblick in die Ermittlungsakten nehmen
- Verstoß
Unmittelbarkeitsgrundsatz
- Definition
- materiell:
- Grundsätzlich ist das originäre Beweismittel heranzuziehen
- formell:
- Eigene Wahrnehmung der Beweise durch das Gericht
- Ununterbrochene Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen
- Richter müssen verhandlungs- und erkenntnisfähig sein
- Ausnahmen
Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO
- Definition
- Es gibt grds. keine festen Beweisregeln
- Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht aus seiner freien Überzeugung
- Einschränkungen
- Beweisverwertungsverbote
- Rückschlüsse aus prozessual zulässigem Verhalten (z.B. Schweigerecht)
- Zwingende Gesetze der Logik, wissenschaftliche Erkenntnisse
- Wahrheitsbeweis durch Strafurteil, § 190 StGB
Zweifelssatz (in dubio pro reo), Art. 6 II MRK
- Definition
- Bei vernünftigen Zweifeln ist von den für den Angeklagten günstigeren Tatsachen auszugehen
- Diese Entscheidungsregel ist erst nach Abschluss der Beweiswürdigung anzuwenden, nicht isoliert bei einzelnen Indizien.
- Ausnahmen
- Wahrheitsbeweis durch Strafurteil, § 190 StGB
- in dubio pro reo gilt nicht für Auslegungsfragen
nemo tenetur se ipsum accusare
- Definition
- Keine Verpflichtung des Beschuldigten
- sich selbst zu belasten
- aktiv an seiner eigenen Überführung mitzuwirken
- Auswirkung
- Einschränkungen
- Erscheinungspflichten bei StA/Richter
- Angaben zur Person
- Bestimmte Duldungspflichten, z.B. § 81a StPO
Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG
- Definition
- Der Betroffene muss sich dem Gericht gegenüber zu den erhobenen Vorwürfen äußern können
- Definition
- Der jeweils zuständige Richter muss sich
- vorhersehbar
- aus einer allgemeinen Norm ergeben
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Grundsatz des fairen Verfahrens (fair trial)
- Definition
- Sicherstellung der
Waffengleichheit
zwischen Beschuldigtem und Ankläger
- Auslegungsrichtlinie zur Sicherung von Verfahrensrechten
- Genannt in Art. 6 I 1 MRK
- Verstöße (selten)
- Strafzumessung
- Verfahrenshindernis (in Extremfällen)
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Verfahrensbeteiligte
Beschuldigter
- Definition
- Der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren betrieben wird
- Materielle Komponente: verdichteter Anfangsverdacht
- Formelle Komponente: gezielte Ermittlungsmaßnahmen
- Bezeichnung des Beschuldigten (= Oberbegriff)
- Ermittlungsverfahren: Beschuldigter
- Zwischenverfahren: Angeschuldigter
- Hauptverfahren: Angeklagter
- Mitbeschuldigter
- Anderer Beschuldigter, gegen den unter demselben Aktenzeichen ermittelt wird (formeller Begriff nach der Rspr.)
- Aufgaben
- leitet das Vorverfahren
- vertritt die Anklage
- Vollstreckungsbehörde
- Aufbau
- hierarchisch-monokratisch
Verteidiger
- Aufgaben
- Beistand des Beschuldigten, § 137 StPO
- Beschuldigter kann sich in jedem Stadium des Verfahrens eines Verteidigers bedienen.
- Unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO
- Notwendige Verteidigung (Pflichtverteidigung), §§ 140, 141 StPO, insb. bei
- Wahrheitspflicht
- Kein Recht zur Lüge (evtl. § 258 StGB), aber auch
- keine Pflicht zur aktiven Überführung des Mandanten (evtl. § 203 StGB)
- Anwesenheitsrechte
- richterliche Untersuchungshandlungen
- Vernehmungen des Beschuldigten
- Hauptverhandlung
Polizei
- Aufgaben
- repressiv (StPO, GVG)
- präventiv (Polizeigesetze der Länder)
Verletzter
- Definition
- Wer durch die Tat unmittelbar in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist
- Der Begriff ist im Strafverfahren umfassender als im StGB zu verstehen
- Verfahrensbeteiligungsrechte
- Definition
- Wer aufgrund eigener sinnlicher Wahrnehmung
- zu einem tatsächlichen Geschehen aussagen kann
- und nicht Angeklagter ist
- Pflichten
- Zeugnisverweigerungsrechte
- für Angehörige des Beschuldigten, § 52 StPO (umfassend)
- aus beruflichen Gründen, § 53 StPO (nur bzgl. Tatsachen, auf die sich die Verschwiegenheitspflicht bezieht)
- Auskunftsverweigerungsrechte
- bzgl. einzelner Fragen, § 55 StPO, wenn die Beantwortung
- den Zeugen oder dessen Angehörige
- in die Gefahr einer Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit versetzen könnte
Gericht/Richter
- Definition
- Der Sachverständige hilft dem Gericht bei der Beurteilung einer Beweisfrage, indem er
- aufgrund eigener Sachkunde
- in Form eines Gutachtens
- Auskunft gibt über
- Tatsachen
- Erfahrungssätze
- Bewertungen abgibt über
- Es gelten die Regeln über Zeugen, soweit §§ 72 ff. StPO keine besonderen Regelungen enthalten.
- Pflichten/Rechte
- Vorbereitetes Gutachten, § 80 StPO
- Anknüpfungstatsachen
- sind Tatsachen, die zugrundegelegt werden (Ausgangspunkte des Gutachtens)
- Befundtatsachen
- sind Tatsachen, die der Sachverständige aufgrund eigener Sachkunde ermittelt
- Nur für diese Tatsachen gelten die §§ 77 ff. StPO
- Zusatztatsachen
- sind Tatsachen, zu deren Feststellung keine besondere Sachkunde erforderlich ist
- Hierfür gelten die Regelungen über den Zeugenbeweis => entsprechende Belehrung
- Ablehnung eines Sachverständigen
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Zwangsmaßnahmen
- Zweck
- Sicherung des Strafverfahrens
- Es gibt aber auch präventive Haftgründe, § 112a StPO
- Voraussetzungen
- Dringender Tatverdacht
- = hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung
- Haftgründe
- § 112 II StPO
- Flucht
- Fluchtgefahr (konkrete Anhaltspunkte)
- Verdunkelungsgefahr (konkrete Anhaltspunkte)
- § 112 III StPO
- Vorliegen einer Katalogtat
- Möglichkeit der Flucht oder Verdunkelung
- § 112a StPO (präventive Haftgründe)
- Bestimmte Haftgründe
- Sexualstraftat (Nr. 1)
- wiederholte Katalogtaten (Nr. 2)
- Wiederholungsgefahr (konkrete Anhaltspunkte)
- Erforderlichkeit der Haft zur Abwendung der Gefahr
- Verhältnismäßigkeit
- Anordnungsbefugnis für einen Haftbefehl
- Richter, § 125 StPO
- auf Antrag der StA
- von Amts wegen bei Gefahr in Verzug
- Rechtsschutz
- siehe unten (Rechtsschutz gegen Zwangsmaßnahmen)
Vorläufige Festnahme, § 127 StPO
- Jedermann-Festnahmerecht, § 127 I StPO
- Der Festzunehmende ist
- auf frischer Tat betroffen oder verfolgt und
- es besteht Fluchtgefahr
- oder die Identität ist nicht sofort feststellbar
- Festnahmerecht der StA/Polizei, § 127 II StPO
- Vorliegen der Voraussetzungen eines Haftbefehls
- Gefahr in Verzug
- = Es ist keine Zeit, einen richterlichen Haftbefehl einzuholen
Durchsuchung
- Objekte von Durchsuchungen
- Wohnungen, Räume
- Personen (Untersuchungen am Körper)
- Durchsuchung bei Verdächtigen, § 102 StPO
- Ziele:
- Ergreifen des Beschuldigten
- Auffinden von Beweismitteln
- Beschlagnahme
- Voraussetzungen:
- Anfangsverdacht
- Vermutung, das Durchsuchungsziel zu erreichen
- Anordnungsbefugnis:
- Richter
- StA/Polizei bei Gefahr in Verzug, § 105 StPO
- Durchsuchung bei Unverdächtigen, § 103 StPO
- Ziele:
- Ergreifen des Beschuldigten
- Verfolgung von Spuren
- Beschlagnahme
- Voraussetzung:
- Tatsachen lassen darauf schließen, dass Person bzw. Sache im Objekt ist
- Anordnungsbefugnis:
- Richter
- StA/Polizei bei Gefahr im Verzug, § 105 StPO
- Zusätzliche Voraussetzung bei allen Durchsuchungen:
Körperliche Untersuchung, Blutprobe
- Untersuchung bei Verdächtigen, § 81a StPO
- Lediglich Duldungs-, keine aktive Mitwirkungspflicht des Betroffenen
- Rechtsgrundlage für Gewaltanwendung zur Durchführung: Annex-Kompetenz
- Untersuchung anderer Personen, § 81c StPO
- Nur bei Personen, die (abstrakt) als Zeugen in Betracht kommen
- Untersuchungsverweigerungsrecht, § 81c III StPO (entspricht Zeugnisverweigerungsrecht)
Beschlagnahme von Postsendungen, § 99 StPO
- Anwendungsbereich:
- Sendungen, die sich im Gewahrsam der Post befinden
- und an den Beschuldigten gerichtet sind
Überwachung der Telekommunikation, § 100a StPO
- Anwendungsbereiche
- Telefon, Fax
- E-Mails, SMS usw.
- Voraussetzungen (u.a.)
- Anordnung, § 100b I StPO
- Gericht
- StA (gerichtliche Bestätigung nach 3 Tagen)
- Verdacht bezogen auf
- Erforschung des Sachverhalts oder Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten ist auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos, § 100a I Nr. 3 StPO
- Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung dürfen nicht erlangt werden, § 100a IV StPO
Akustische Wohnraumüberwachung, § 100c StPO
Großer Lauschangriff
- § 100c StPO entspricht im Wesentlichen § 100a StPO (siehe dort entsprechend)
- Beachte hier insb. § 100c VI StPO bei Gesprächen mit Personen, denen nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen zusteht
Abhören außerhalb von Wohnungen, § 100f StPO
Rechtsschutz gegen richterliche Anordnungen
- Speziell geregelte Rechtsbehelfe, z.B. Haftprüfung
- Beschwerde, § 304 StPO
Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Verhaltensweisen der StA und Polizei
- § 98 II 2 StPO direkt
- in Fällen der Beschlagnahme
- § 98 II 2 StPO analog
- in anderen als Beschlagnahmefällen
- in Fällen, in denen es um die Art und Weise der Maßnahme geht
- in Erledigungsfällen
- Gegen die richterliche Entscheidung gem. § 98 II 2 StPO ist Beschwerde möglich, § 304 StPO
Zusätzliche Voraussetzungen beim Rechtsschutz in Erledigungsfällen
- Wiederholungsgefahr,
- Rehabilitationsinteresse
- oder schwerwiegender Grundrechtseingriff
Ablauf einer Haftsache
- Erlass eines Haftbefehls durch den Richter, § 114 I StPO
- Verhaftung, veranlasst durch StA, § 36 II 1 StPO
- Vorführung vor den Richter, § 115 StPO
- unverzüglich, spätestens einen Tag nach Ergreifung
- Belehrung, Vernehmung
- Entscheidung des Richters über den Haftbefehl
- Vollzug
- Aussetzung, § 116 StPO
- wenn weniger einschneidende Maßnahmen den Zweck der Untersuchungshaft erfüllen können, z.B.
- Aufhebung
- Vollzug der Untersuchungshaft oder Freilassung
Rechtsschutz in Haftsachen
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Abschluss des Ermittlungsverfahrens
Hinreichender Tatverdacht liegt vor
- Privatklagedelikte (§ 374 I StPO) ohne öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
- Offizialdelikte (Verfolgung von Amts wegen)
- Absolute Geringfügigkeit
- Einstellung gem. § 153 StPO
- Vergehen
- Geringe Schuld
- Kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
- Einstellung gem. § 153a StPO
- Vergehen
- Öffentliches Interesse an Strafverfolgung liegt vor, kann aber durch Auflagen beseitigt werden
- Keine entgegenstehende Schwere der Schuld
- Relative Geringfügigkeit
- Einstellung gem. § 154 StPO
- Voraussetzung: zwei prozessuale Taten
- Der prozessuale Tatbegriff umfasst das gesamte Verhalten des Täters, soweit es einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang
bildet
- Einstellung gem. § 154a StPO
- Keine Geringfügigkeit
Hinreichender Tatverdacht liegt nicht vor
- Einstellung gem. § 170 II StPO
- Bekanntgabe der Einstellung an den Beschuldigten, wenn
- er als Beschuldigter vernommen wurde
- oder ein Haftbefehl erlassen wurde
- oder der Beschuldigte um einen Bescheid gebeten hat
- oder ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist
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Ablauf des Hauptverfahrens
- Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung, § 213 StPO
- Erforderliche Ladungen
- Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an den Angeklagten
- Beginn der Hauptverhandlung
- Aufruf zur Sache, § 243 I 1 StPO
- Feststellung des Vorsitzenden, ob Angeklagter, Verteidiger, Zeugen und Sachverständige erschienen und die Beweismittel herbeigeschafft sind, § 243 I 2 StPO
- Zeugen- und Sachverständigenbelehrung, § 57 StPO, § 72 StPO
- Zeugen verlassen den Sitzungssaal, § 243 II 1
- Vernehmung des Angeklagten zur Person, § 243 II 3 StPO
- Verlesung des Anklagesatzes durch die StA, § 243 III StPO
- Ggf. Mitteilung, ob eine Verständigung im Strafverfahren gem. § 257c StPO stattgefunden hat,
§ 243 IV 1 StPO
- Angeklagter
- Belehrung, § 243 V 1 StPO
- Ggf. Vernehmung, § 243 V 2 StPO
- Beweisaufnahme, § 244 I StPO
- Schlussplädoyers, § 258 I StPO
- Letztes Wort des Angeklagten, § 258 III StPO
- Geheime Beratung/Abstimmung des Gerichts
- Urteilsverkündung, § 260 I StPO
Das Sitzungsprotokoll, § 275 StPO
- Positive und negative Beweisvermutung in Bezug auf:
- Gang der Hauptverhandlung
- Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten
- gestellte Anträge
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Beweisaufnahme
- bezieht sich auf Tatsachen, die die Schuld- oder Straffrage betreffen
- Ausschließliche Beweismittel:
- Zeugen
- Sachverständige
- Augenschein
- Urkunden
- Einlassung des Angeklagten (formal nicht Bestandteil der Beweisaufnahme)
- Bindungswirkung:
- Das Revisionsgericht (nicht das Berufungsgericht) ist an die im Wege des Strengbeweises gewonnenen Tatsachen gebunden.
Freibeweis
- bezieht sich auf Tatsachen, die nicht die Schuld- oder Straffrage betreffen
- Alle Beweismittel sind zulässig
- Keine Bindungswirkung für das Revisionsgericht
Beweisantrag
- Voraussetzungen/Definition:
- Bestimmtes Beweisthema (zu beweisende Tatsache)
- Bestimmtes Beweismittel
- sonst: Beweisermittlungsantrag (s.u.)
- Ablehnung eines Beweisantrags
- Ablehnungsgründe, § 244 III-V StPO, § 245 II StPO
- Insb. Ablehnungsgründe des § 244 III StPO:
- Unzulässigkeit (in diesem Fall muss der Beweisantrag abgelehnt werden)
- Offenkundigkeit
- Zu beweisende Tatsache ist
- ohne Bedeutung oder
- schon erwiesen (nicht das Gegenteil der behaupteten Tatsache)
- Beweismittel ist
- völlig ungeeignet oder
- unerreichbar
- Absicht der Prozessverschleppung
- Zu beweisende Tatsache kann als wahr unterstellt werden
Beweisermittlungsantrag
- liegt vor, wenn Beweismittel oder -thema nicht konkret bezeichnet ist
- Ablehnung ist formlos möglich (ohne Beschluss)
- Ablehnungsgründe
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Beweisverbote
Beweisverbote - Definition
- Einschränkung der Aufklärungspflicht des § 244 II StPO
- Beweiserhebungsverbote
- Beweisverwertungsverbote
Verbotene Vernehmungsmethoden, § 136a StPO
- Vernehmung
- Situation, bei der der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft Auskunft verlangt
- Keine Vernehmungen sind:
- informatorische Befragungen
- Spontanäußerungen
- Privatermittlungen
- Verbotene Methoden
- Rechtsfolge
- Absolutes Verwertungsverbot
- Verbot der Verlesung
- Verbot des Vorhalts
- Verbot der Vernehmung von Verhörspersonen
- Keine Einwilligung des Betroffenen in die Verwertung möglich
Beweisverwertungsverbote
- Mängel in der Beweiserhebung führen nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot (BVV).
- Sie können sich jedoch aus einer Abwägung ergeben:
- Strafverfolgungsinteresse ↔ Interesse des Beschuldigten auf Wahrung seiner Rechte
- Kernbereich der Grundrechte ↔ bloße Ordnungsvorschrift
- Verhältnismäßigkeit
- Klein- oder Schwerstkriminalität?
- Bewusste oder unbewusste Verletzung einer Norm bei Beweiserhebung?
- Wäre das Beweismittel auch rechtmäßig zu erlangen gewesen?
- Rechtskreistheorie
- Verletzte Norm dient dem Schutz des Betroffenen ⇒ BVV (+)
- Verletzte Norm dient vorwiegend Dritten ⇒ BVV (-)
- Widerspruchslösung (Rspr.): BVV mit Verwertungsvorbehalt
- Fehler bei der Beweisgewinnung führen nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn
- der Angeklagte belehrt wurde oder einen Verteidiger hat
- und Widerspruch eingelegt wird.
Beweisverwertungsverbote - Einzelfälle
- Fehlende Zeugenbelehrung, § 52 III 1 StPO
- Norm dient auch dem familiären Interesse des Beschuldigten
- ⇒ BVV (+)
- Fehlende dienstliche Genehmigung, § 54 StPO
- Norm dient nur der Wahrung von Dienstgeheimnissen
- ⇒ BVV (-)
- Fehlende Belehrung über ein Auskunftsverweigerungsrecht, § 55 StPO
- Norm dient nur dem Interesse des Zeugen
- ⇒ BVV (-)
- Von Privatpersonen rechtswidrig gewonnene Beweise
- Grds. gelten Beweiserhebungsverbote nur für staatliches Handeln
- ⇒ Entscheidend für die Frage eines BVV ist die Intensität des Grundrechtseingriffs
- Fehler bei körperlichen Untersuchungen, § 81a StPO
- Norm dient nur der Gesundheit des Betroffenen
- ⇒ BVV (-)
- ⇒ BVV (+) bei absichtlichen Verstößen
- Zeuge macht in der Hauptverhandlung vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, hat vorher ausgesagt
- ⇒ Verlesung der früheren Vernehmung (-), § 252 StPO
- ⇒ Vorhalt der früheren Vernehmung (-)
- ⇒ Vernehmung der nichtrichterlichen Verhörsperson (-)
- ⇒ Vernehmung der richterlichen Verhörsperson (+), wenn der Zeuge seinerzeit
- richtig belehrt wurde
- und wirksam auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet hat
- Verlesung bei Erinnerungslücken, § 253 StPO
- Frühere Vernehmung kann dann verlesen werden
- hM: Urkundenbeweis (!)
- Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
- Sind mittelbar aufgrund eines unverwertbaren Beweismittels gewonnenen Beweise verwertbar?
- Rspr.: verwertbar
- aA:
Fruit of the poisonous tree
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Verständigung im Strafverfahren
Das abgesprochene Urteil
- Sinn und Zweck
- Gewährung einer milderen Strafe gegen ein Geständnis
- Arbeitserleichterung für überlastete Gerichte und Staatsanwaltschaften
- Kritik
Voraussetzungen einer Verständigung, § 257c StPO
- Untersuchungsgrundsatz, § 257c I 2 StPO
- Erforschungspflicht der materiellen Wahrheit entfällt nicht
- Insbesondere ist das Geständnis auf Glaubhaftigkeit zu prüfen
- Gegenstand der Verständigung, § 257c II StPO
- Geständnis
- Strafobergrenze und Strafuntergrenze
- Verfahrensbezogene Maßnahmen
- Prozessverhalten der Beteiligten
- Zustandekommen der Verständigung, § 257c III 4 StPO
- Vorschlag des Gerichts
- Zustimmung
- ⇒ Bindungswirkung
- Wegfall der Bindungswirkung, § 257c IV StPO
- Neue Umstände (rechtliche oder tatsächliche)
- Neues Prozessverhalten des Angeklagten, das im Widerspruch zur Verständigung steht
- ⇒ Das Geständnis darf dann nicht mehr verwertet werden, § 257c IV 3 StPO
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Besondere Verfahrensarten
- Kennzeichen
- Summarisches Verfahren
- Einfache Fälle
- ohne Hauptverhandlung
- nach Aktenlage
- Zulässigkeit
- Vergehen (§ 12 II StGB)
- Zuständigkeit des Amtsgerichts
- Zulässige Rechtsfolgen, § 407 II StPO:
- Geldstrafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot u.a.
- Freiheitsstrafe auf Bewährung bis zu einem Jahr, wenn der Angeschuldigte einen Verteidiger hat
- Verfahrensablauf
- Antrag der StA auf Erlass eines Strafbefehls
- = öffentliche Klage
- Antrag muss auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtet sein, § 407 I 3 StPO
- Richter erlässt den Strafbefehl, wenn
- Kein Einspruch innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung, § 410 I 1 StPO
- Rechtzeitiger Einspruch
- ⇒ Hauptverhandlung
- Kein Verbot der reformatio in peius
- StA stellt Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren bei
- einfachem Sachverhalt
- klarer Beweislage
- Zuständigkeit des AG
- Kennzeichen
- Kein Zwischenverfahren
- Erleichterte Beweisaufnahme (§ 420 StPO)
- Auch bei Verbrechen (§ 12 I StGB) möglich!
- Möglichkeit des Verletzten, selbst Anklage zu erheben, wenn kein öffentliches Interesse besteht
- Verletzter tritt neben der StA als Kläger auf
- Anwesenheitsrechte
- Antragsrecht
- Rechtsmittelrecht (eingeschränkt)
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Rechtsbehelfe
Ordentliche Rechtsbehelfe (Rechtsmittel)
- Kennzeichen
- Die Rechtskraft eines Urteils ist noch nicht eingetreten
- Arten
- Voraussetzung: Beschwer
- Beschuldigter: immer beschwert, wenn Entscheidung zu seinem Nachteil ergangen ist
- StA: immer beschwert bei Rechtsverletzung
- Wirkungen
- Devolutiveffekt
- Die Sache wird in eine höhere Instanz gebracht
- Gilt nicht beim Einspruch gegen den Strafbefehl
- Suspensiveffekt
- Eintritt der Rechtskraft wird gehemmt
- Gilt nicht bei der Beschwerde
- Möglich gegen Urteile des AG
- Neue Tatsacheninstanz
- ⇒ neue Beweismittel möglich
- Möglich gegen Urteile des AG (Sprungrevision), LG, OLG
- Reine Rechtsinstanz (Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler)
- Verfahrensrüge: Verletzung von Verfahrensvorschriften
- Sachrüge: Verletzung materiellen Rechts
- Revisionsgründe
- Absolute Revisionsgründe, § 338 StPO
- Beruhen des Urteils auf Gesetzesverletzung wird unwiderleglich vermutet
- Relative Revisionsgründe, § 337 StPO
- Rechtsverletzung ist nur dann relevant, wenn Urteil auf dem Verstoß beruht
Verbot der reformatio in peius
- Bei Berufung und Revision darf das Urteil nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn
- nur der Angeklagte oder
- zu seinen Gunsten die StA das Rechtsmittel eingelegt hat, § 331 StPO, 358 StPO
- Gilt nur bzgl. Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht bzgl. des Schuldspruchs
Rechtsmittelbeschränkung, -verzicht, -rücknahme
- Beschränkung zulässig, soweit Beschwerdegegenstand selbstständig prüfbar
- Bei unzulässiger Beschränkung:
- Ganzes Urteil gilt als angefochten, § 318 S. 2 StPO (Berufung, analog für Revision)
- Verzicht/Rücknahme
- erst nach dem Urteil möglich
- gegen Beschlüsse des Gerichts
- in erster Instanz
- im Berufungsverfahren
- gegen richterliche Verfügungen
- soweit nicht ausdrücklich unanfechtbar
Außerordentliche Rechtsbehelfe
- Kennzeichen
- Durchbrechung der Rechtskraft
- Arten
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 44 ff. StPO
- Bei Fristversäumungen
- Im Erfolgsfall wird das Verfahren weitergeführt, als wäre die Frist nicht versäumt worden
- Wiederaufnahme des Verfahrens
- gegen formell rechtskräftige Urteile
- in Ausnahmefällen
- insb. bei neuen Tatsachen/Beweismitteln, § 359 Nr. 5 StPO
- Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG
- Beschwerde nach Art. 34 MRK
Formelle Rechtskraft
- Definition
- Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln
- tritt ein bei
- Urteilsverkündung in letzter Instanz
- Ablauf der Rechtsmittelfrist
- Rechtsmittelverzicht
- Die formelle Rechtskraft ist Voraussetzung für die materielle Rechtskraft
Materielle Rechtskraft
- Definition
- Durchbrechung möglich mit außerordentlichen Rechtsbehelfen
- bezieht sich auf die abgeurteilte Tat im prozessualen Sinn:
- Gesamtes Verhalten des Täters, das nach der Lebensauffassung einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellt
- Grds. gegeben bei Tateinheit, § 52 StGB
- Keine materiellrechtliche Bindung in anderen Strafverfahren
© Jan Knupper
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